Der Vater von Ruth Fries, Angestellter der SBB, wuchs im «Isebahnerdörfli» auf und wohnte später mit seiner Frau am Hügelweg, als 1934 die kleine Ruth geboren wurde. Seit 80 Jahre lebt sie im Geissenstein und ihre Augen leuchten, wenn sie von früheren Zeiten erzählt.
Man spürt, wie sehr sie mit dem Ort verbunden ist. «Schön ist es hier», sagt sie, «so grün und ruhig, selbst die Luft scheint reiner zu sein als unten in der Stadt!»
Man kann sich die kleine Ruth gut vorstellen, wenn sie schildert, wie die zahlreichen Kinder viel Platz und Zeit zum Spielen hatten. Die Strasse gehörte ihnen, es gab noch kaum Autos. In den 176 Wohnungen lebten damals rund 600 Personen. Jede Familie bebaute einen Pflanzplätz, was während dem Krieg für viele existentiell war. Bei Herrn Burri am Waldweg konnte man für 2 Rp. Setzlinge beziehen. Im Hühnerhof daneben wurden die Eier gekauft und die Milch lieferte der Milchmann bis zum Haus. Es existierte zu dieser Zeit bereits ein kleiner Konsum-Laden, alles andere mussten sich die Frauen aber zu Fuss in der Stadt besorgen. Erst ab 1948 fuhr ein Bus ins Geissenstein.
Das Dörfli war von Anfang an ein lebendiger Begegnungsraum, wo die Mütter sich zum Stricken auf dem Spielplatz trafen. Eine Freiluftbahn am Höhenweg lud zu Kegeln ein und in der Bibliothek im alten Bock lieh man sich die neuesten Bücher aus.
Bis 1952 besuchten die Kinder die Primarschule im Moosmattschulhaus. Für die Sekundarstufe mussten die Jugendlichen zu Fuss ins Museggschulhaus am andern Ende der Stadt. Und dies jeden Tag.
Dass Ruth die Ausbildung zur Kindergärtnerin besuchte, war ein Entscheid der Eltern. Bereits Ihre Mutter wollte als junge Frau das Lehrerseminar besuchen. Der damalige Rektor aber winkte ab mit dem Hinweis, dass sie als Frau ohnehin keine Chance hätte. Die Ausbildungsplätze seien den Männern vorbehalten, da diese schliesslich später eine Familie ernähren müssten...
So wurde ihre einzige Tochter Ruth ins Kindergärtnerinnen-Seminar nach Ebnat-Kappel geschickt. Dass ihr dieser Beruf entsprach und sie ihn während 42 Jahren mit Freude und Hingabe ausübte, glaubt man ihr sofort. Wohl über Tausend Kinder wurden dank ihrer kreativen und lebendigen Art gefördert und auf die Schule vorbereitet. Ihr Anfangslohn betrug damals gerade mal CHF 300.– im Monat. Damit konnte sie sich keine eigene Wohnung leisten – auch nicht im Geissenstein(!) – und so zog sie wieder bei ihren Eltern ein.
Heute geniesst Ruth Fries mit ihren beiden Katzen ihre eigene Wohnung im Dorfzentrum. Nicht mehr als Kinder- sondern als Gärtnerin widmet sie sich ihren vielen Topfpflanzen und ihrem Pflanzplätz. Und sie hegt und pflegt ihre Schützlinge genau so sorgfältig und liebevoll wie damals ihre Kindergärtler.
Ruth Fries ist dankbar, hier leben zu dürfen. Einzig etwas mehr einheimische Pflanzen würde sie sich im Quartier wünschen sagt sie mir zum Schluss...
Altgeissensteinerin
Ruth Fries (83) gehört zu der kleinen Gruppe von Geissensteinerinnen und Geissensteinern, die man fast schon als «Ureinwohnerinnen» bezeichnen könnte. Ihr Grossvater Josef Fries, ehemaliger Lehrer im Moosmattschulhaus, übernahm von 1931 bis 1942 das Präsidium der EBG. Ruth Fries wohnt, mit Ausnahme von drei Jahren, seit ihrer Geburt im Quartier.
Interview: Marlis Notter